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03.09.2009
Es herrscht die Vorstellung vor, die Weltwirtschaftskrise sei erst vor Kurzem entstanden und sie sei schon so gut wie überwunden. Tatsächlich aber hat sie eine Geschichte von rund vier Jahrzehnten. Und sie wird auch noch viele Jahre andauern – bis eine politische Lösung gefunden ist oder, wie oft in der Geschichte, eine unpolitische erzwungen wird.
Seit Anfang der 1970er Jahre ist in der Bundesrepublik Deutschland wieder von Massenarbeitslosigkeit die Rede. Seit Mitte der 1970er Jahre bereitet die wachsende Staatsverschuldung immer größere Sorgen. Die Zahl der Arbeitslosen konnte in den letzten 10 Jahren mit immer weiteren Tricks schöngerechnet werden, so dass man besser nach der Zahl der Arbeitslosengeldempfänger schaut. Die Staatsverschuldung lässt sich dagegen nicht so leicht verbergen. Die finanziellen Schwierigkeiten des Gesundheitswesens der Rentenkassen sind Legende. Seit Anfang der 1990er Jahre stagnieren oder fallen die Grundstückspreise. Seit etwa derselben Zeit greift das Ladensterben um sich. Seit etwa 10 Jahren ist die Kinderarmut in Deutschland nicht mehr die "Armut an Kindern", sondern die "Armut von Kindern". Verwirrend sind die Meldungen aus der Wirtschaft. Denn während die Zahl der Konkurse und Insolvenzen – seit 1999 auch die der Verbraucherinsolvenzen – immer weiter zugenommen hat, feierten andere Unternehmen einen Rekord nach dem anderen. Das Bild ist in anderen Industrienationen nicht viel anders. Die USA, Japan, Großbritannien, Frankreich und viele andere Volkswirtschaften haben dieselben Probleme über all die Jahre. Von einer Weltwirtschaftskrise spricht man merkwürdigerweise erst seit Herbst 2007 und zwar nur deshalb, weil jetzt – wie schon 1929 – das Großkapital betroffen ist. Damals besorgte die Börse die großen Verluste für das Großkapital, jetzt erledigte dies die Kreditwirtschaft. Und schon damals, rund ein Jahrzehnt lang vor dem schwarzen Freitag, waren die wirtschaftlichen Probleme für die breite Bevölkerung erdrückend. In den 1920er Jahren prägten Massenarmut und Massenarbeitslosigkeit der einen und gigantischer Reichtum bei sehr wenigen anderen das Bild der großen Volkswirtschaften.
Schon der berühmte russische Ökonom Nikolai Kondratieff bemerkte Anfang des 20. Jahrhunderts Konjunkturzyklen von sehr langer Dauer und und großen Ausschlägen nach oben und unten. Eine schlüssige Erklärung konnte er nicht liefern. Er hielt es für reinen Zufall, dass der Beginn eines neuen Aufschwungs zeitlich mit dem Ende von Revolutionen und Bürgerkriegen zusammenfiel. Die schlüssige Erklärung liegt heute vor. Sie ist aber kaum bekannt.
Sämtliche eingangs angeführten wirtschaftlichen Probleme gehen einher mit einer schleichenden, aber steten Veränderung des Geldflusses durch die Volkswirtschaften. Zu Beginn der Entwicklung findet man in den Volkswirtschaften eine relativ breite Verteilung der Zahlungsmittel in den Händen der Bevölkerung, wobei die Zahlungsmitteln in den Unternehmen freilich den Eigentümern der Unternehmen zuzurechnen sind. Die Geldströme sind kleine "Bäche" in einem großräumigen "Gewässersystem", das die gesamte Bevölkerung gut mit Geld versorgen. Im Laufe von Jahrzehnten konzentrieren die Geldströme sich bei wenigen wirtschaftlich Erfolgreichen. Am Ende der Entwicklung fließt das Geld wie der Nil in der Wüste: Wenige Reiche ertrinken schier im Geld, während die übrige Bevölkerung in der Wüste auf dem Trockenen sitzt.
Die Bevölkerung, allen voran die Politiker und Ökonomen, bekommen von alldem nichts mit, weil gleichzeitig die Geldmenge in rasantem Tempo wächst. In der Bundesrepublik Deutschland zum Beispiel ist die Geldmenge M3 seit der Währungsreform 1948 im Schnitt um knapp über 10% jährlich gewachsen. Jeder Bürger, wollte er mit Blick auf seine persönlichen Kaufkraft mit diesem Geldmengenwachstum mithalten, müsste also seinen Geldbestand jährlich um 10% steigern – dies aber nicht nur statisch, indem er einfach nur jedes Jahr 10% mehr Geld angespart, sondern auch dynamisch, indem er seine Ein- und Ausgaben jährlich um 10% steigert. Langzeitstudien anhand der Einkommensteuerstatistik zeigen, dass gut 95% der Bevölkerung hinter dieser Anforderung weit zurückfallen und beispielsweise von 1974 bis 1998 circa 70% ihrer ursprünglichen, an der vorhandenen Geldmenge zu messenden Kaufkraft verloren haben. Circa 4% der Bevölkerung haben mit der Geldmengenentwicklung Schritt gehalten, während der kleine Rest der Bevölkerung fast das gesamte Geldmengenwachstum hin zu sich lenken konnte. Die breite Bevölkerung wird also in allen Industrienationen auf lange Sicht wirtschaftlich immer unbedeutender. Und die wenigen Erfolgreichen werden superreich, aber nicht, weil sie besonders viel und hart arbeiten würden, sondern weil es ihnen gelingt, immer mehr andere Menschen für sich arbeiten zu lassen. Die jährlich von dem manager-magazin herausgegebene Liste der reichsten Deutschen oder zuletzt abermals von Karl Albrecht angeführt, dem Eigentümer von Aldi Süd. Sein Vermögen hat danach einen Wert von 17,55 Milliarden €. Das seines Bruders Theodor Albrecht (Aldi Nord) hat einen Wert von 17,05 Milliarden €. Beide Brüder hatten bekanntlich mit dem kleinen Krämerladen ihrer Eltern begonnen, ihre Vermögen also zu Lebzeiten erstanden. Will man solch ein Vermögen in 40 Jahren Arbeit bei 230 Tagen im Jahr und acht Stunden am Tag selbst erarbeiten und will man gleichzeitig noch seine Einkommensteuer bezahlen (hier gerechnet mit 48,5% zur Schröder-Ära), so bedarf es dazu von der ersten Stunde an eines konstanten Stundenlohnes von 491.652 € beziehungsweise 477.645 €! Solch hohe Einkommen sind nicht mit eigener Arbeit zu erzielen, sondern (fast) ausschließlich mit Kapitaleinkünften, was nichts anderes bedeutet als mit der Arbeit von anderen. So arbeiten bei Aldi beispielsweise rund 200.000 Menschen. Ähnlich sieht es bei den anderen Superreichen in unserem Land und in dieser Welt aus. Aus der sozialen Marktwirtschaft der 1950er und 1960er Jahre des Ludwig Erhard, dem rheinischen Kapitalismus, ist ein moderner Feudalismus geworden, ein Meudalismus. Ludwig Erhard schrieb 1957 in seinem berühmten Buch "Wohlstand für alle":
"... So wollte ich jeden Zweifel beseitigt wissen, daß ich die Verwirklichung einer Wirtschaftsverfassung anstrebe, die immer weitere und breitere Schichten unseres Volkes zu Wohlstand zu führen vermag. Am Ausgangspunkt stand da der Wunsch, über eine breitgeschichtete Massenkaufkraft die alte konservative soziale Struktur endgültig zu überwinden.
Diese überkommene Hierarchie war auf der einen Seite durch eine dünne Oberschicht, welche sich jeden Konsum leisten konnte, wie andererseits durch eine quantitativ sehr breite Unterschicht mit unzureichender Kaufkraft gekennzeichnet. Die Neugestaltung unserer Wirtschaftsordnung musste also die Voraussetzungen dafür schaffen, daß dieser einer fortschrittlichen Entwicklung entgegenstehende Zustand und damit zugleich auch endlich das Ressentiment zwischen 'arm' und 'reich' überwunden werden konnten. Ich habe keinerlei Anlaß, weder die materielle noch die sittliche Grundlage meiner Bemühungen mittlerweile zu verleugnen. Sie bestimmt heute wie damals mein Denken und Handeln."
Ludwig Erhard war federführend bei der Währungsreform 1948. Bei dieser Reform wurde neues Geld in Höhe von circa 13 Milliarden DM geschaffen. Dies entsprach circa 255 DM pro Kopf. Das damals an die Bevölkerung ausgeteilte Kopfgeld von insgesamt 60 DM sorgt also dafür, dass jeder Bürger eine Kaufkraft von wenigstens rund einem Viertel der auf jeden entfallenden Geldmenge besaß. Auf heute übertragen bedeutet das, dass in dieser Sekunde jeder Bürger wenigstens 6.260,13 € Bargeld besitzt, weil die Gesamtgeldmenge entsprechend gewachsen ist. Analog hierzu würde der durchschnittliche Bruttostundenlohn eines Arbeiters, der unmittelbar nach der Währungsreform 1948 bei 0,99 DM lag, heute 117,90 € betragen. Ein Haushalt, der heute zur Mittelschicht gehören will und daher unter anderem über eine mittlere Kaufkraft zu verfügen hat, muss im Monats- oder Jahresmittel über eine Geldmenge von 28.273,63 € im Sinne von M1, 51.060,19 € im Sinne von M2 und von 54.561,61 € im Sinne von M3 besitzen (Stand Ende Juni 2009). Haushalte, die diese Kaufkraft nicht wenigstens zur Hälfte erzielen, sind in Wirklichkeit arm.
Da die Nilbildung von Jahr zu Jahr fortschreitet, das gewinnbringende Vermögen eines Landes sich immer weiter bei den modernen Feudalherren (Meudalherren) konzentriert und folglich immer mehr Menschen für das Wohl der Meudalherren arbeiten, ist aus dem rheinischen Kapitalismus der 1960er Jahre ein Meudalismus geworden mit all den verheerenden volkswirtschaftlichen Folgen, die schon der klassische Feudalismus mit sich brachte. Diese Entwicklung hat in fast allen Industrienationen nahezu parallel stattgefunden, selbst dann, wenn das Land ursprünglich kommunistisch war. Der USA kommt hier abermals eine Vorreiterrolle zu.
Dass deshalb eines Tages Massen von Kreditnehmern ihre Kredite bei den Banken nicht mehr bedienen können würden, war klar vorherzusehen. Man musste nur die Fakten und Zusammenhänge richtig deuten. Alle anderen Erklärungen, die in den letzten zwei Jahren als Ursachen für die Finanz- und Weltwirtschaftskrise herhalten mussten, sind Halbwahrheiten und halten einer umfassenden Überprüfung nicht stand.
Bewerten Sie nun selbst die "Erkenntnisse und Weisheiten" der Ökonomen oder der politischen Parteien in Deutschland! Wer Armut bekämpfen will, muss den Reichtum beseitigen. Reichtum der einen bedeutet nicht nur begrifflich immer zugleich Armut der anderen. Auch ökonomisch bedingen Arm und Reich sich gegenseitig. So beweisen ökonomische Studien, dass der Reichtum von einzelnen Bürgern nur durch die gleichzeitige Verarmung des Rests der Bevölkerung entstehen kann. Es ist auf lange Sicht wie bei dem Monopoly-Spiel: Am Anfang sind alle gleich, am Ende ist einer reich und die anderen sind pleite. Wer die Reichen ungehindert immer weiter reicher werden lassen will, der belügt die Bevölkerung, wenn er behauptet, etwas gegen die Armut tun zu wollen. Wenn man den Reichen schon nichts wegnehmen will, so müsste man wenigstens verhindern, dass sie jeden Tag noch reicher werden. Nur dann hat die übrige Bevölkerung eine Chance aufzuholen beziehungsweise aus der Armut aufzusteigen.
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