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Betreff: KIWIFO: Das EZB-Dilemma http://www.kiwifo.de/html/ezb-dilemma.htm
Das EZB-Dilemma
04.04.2014
Die Europäische Zentralbank (EZB) steckt seit Jahren in
einem Dilemma, wie sich auch gestern wieder bei
der Pressekonferenz von Notenbank-Chef Draghi zeigte: Die
Inflation in Euroland - mithin die Inflation nach dem Harmonisierten
Verbraucherpreisindex (HVPI) - ist nach vorläufiger Schätzung
mit 0,5% im März
(gegenüber 0,7% im Februar) wieder deutlich zu niedrig. Angestrebt wird eine
Inflationsrate von knapp unter 2,0%, um sicher zu gehen, dass nicht in
einzelnen Euro-Ländern Deflation eintritt. Deflation soll auf jeden Fall
verhindert werden.
Diese niedrige Inflation (fast Deflation) ist nach
klassischer Denkweise umso erstaunlicher, als nach wie vor ein enormes
Geldmengenwachstum herrscht (M1 im Februar bei 6,1%). Zu erklären ist diese
Diskrepanz zwischen Inflation und Geldmengenwachstum nur mit einer
Verlangsamung der Geldumlaufgeschwindigkeit (freilich in dem
Wirtschaftsbereich, der für die Inflation interessant ist und in dem die
Inflation gemessen wird). Die Rede ist - nach klassischer Sicht - von einer
Kauf- und Investitionszurückhaltung.
Der EZB gehen aber allmählich die Instrumente aus, um
eine Deflation zu verhindern und um die vermeintliche Kauf- und
Investitionszurückhaltung zu beenden. Das gesetzlich erlaubte Mittel der
Senkung der Leitzinsen ist mit 0,25% fast am Ende. Niedrigere Zinsen sorgen im
Grundsatz für höhere Kreditaufnahmen und damit für Geldmengenwachstum bzw. für
höheres Geldmengenwachstum. Dieses wiederum sorgt - nach klassischer Sicht -
für eine höhere Inflation. Die EZB kann letztlich nur über ein Geldmengenwachstum
gegen die vermeintliche Kauf- und Investitionszurückhaltung ankämpfen. Wenn sie
den Leitzins auf 0% herunter geschraubt haben wird, ist ihr gesetzlich
zulässiges Repertoire aufgebraucht. Umstritten ist, ob die EZB auch im
Sekundärmarkt Staatsanleihen aufkaufen darf, weil dies eine indirekte
Staatsfinanzierung bedeuten würde.
Mit den klassischen Denkmustern wird man allerdings der
Realität nicht wirklich gerecht. Denn wir haben es nicht mit einer allgemeinen
Kauf- und Investitionszurückhaltung zu tun. Im Gegenteil: Der weit überwiegende
Teil der Bevölkerung - insbesondere in den von Deflation am stärksten
betroffenen Südländern - würde liebend gerne noch viel mehr Geld ausgeben (auch
für Investitionen). Doch sie hat das Geld dafür nicht. Sie gibt ihr gesamtes
Geld fleißig “bis zum Monatsende” aus und kann gar nicht mehr ausgeben. Selbst
das durch Kredit einmal neu erzeugte Geld wird schon im nächsten Moment
ausgegeben. An dieser Tatsache scheitert die klassische Denkweise. Und hieran
scheitert auf längere Sicht die Möglichkeit der EZB, eine Deflation in Euroland
zu verhindern - selbst durch den Aufkauf von Staatsanleihen.
Eine Erklärung und Lösung dieses komplexen Problems
findet man nur, wenn man sich - entgegen dem Tabu der klassischen Ökonomie -
vergegenwärtigt, dass in allen Euro-Ländern sich das Geld bei wenigen Bürgern
(und natürlich bei deren Unternehmen) ansammelt, und zwar in einem so hohen
Tempo, dass die Betreffenden das Geld in Gänze rein faktisch gar nicht mehr
ausgeben können (sog. Meudaleffekt). Es handelt sich um Beträge von Hunderten
Millionen bis Milliarden Euro pro Jahr - auf einen dieser Bürger bezogen. Diese
Gelder stammen freilich aus Gewinnen ihrer Unternehmen und stehen somit zur
freien Verfügung. Aber Beträge dieser Größenordnung können Jahr für Jahr nicht
mehr ausgegeben werden, weil es dafür nicht entsprechend viele Güter (auch
ganze zum Verkauf stehende Unternehmen) gibt. Vor allem aber - und das ist das
Hauptproblem - gelangen diese enormen Geldbeträge nicht wieder in die breite
Bevölkerung (und in deren Unternehmen). Dieses Problem - welches dringend
gelöst werden muss - kann die EZB aber nicht lösen, weil sie dafür nicht die
Instrumente hat.
Die nötigen Instrumente für dieses Problem hat allein die
Politik bzw. der Gesetzgeber. Doch diese/r verharrt - sicherlich aus
völliger Ahnungslosigkeit und Unwissenheit - in Untätigkeit und überlässt das
Problem der EZB.